Der „Bäderkrieg“ in Absam-Eichat

Eine spektakuläre Niederlage der Sittenwächter Anfang der 1930er Jahre.

Eine juristisch-sittenpolitische Auseinandersetzung um ein Freibad in Eichat hat Absam vor über 90 Jahren weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht.

Was war geschehen?

Die „Arbeiter-Zeitung“ berichtete am 24. Mai 1931 unter dem Titel „Der Polizeivizepräsident nimmt Ärgernis“ über eine Vorbildwirkung von Eichat für die Verhältnisse in Wien Folgendes:

In Absam in Tirol wurde vor einem Jahr ein großes Schwimmbad gebaut, in dem – O Tugend von Tirol! – Männer und Frauen zwar getrennt die Kleider wechselten, aber vereint badeten. Der Gemeinderat von Absam konnte die heidnische Schweinerei nicht dulden; er hat daher das Familienbad aus Gründen der Sittlichkeit, Anständigkeit und Wohlerzogenheit verboten und die Trennung der Männer von den Frauen angeordnet.

…Solches geschieht bei den Absamiten; soll die Tugend der Wiener ungeschützt bleiben? Keineswegs; die ‚Reichspost‘ hat gestern mitgeteilt, der Polizeivizepräsident Brandt habe der Polizei die Weisung erteilt, sofort und mit größter Strenge gegen die Anhänger der Nacktkultur vorzugehen; das richte sich vor allem, meint die ‚Reichspost‘, gegen die Wienerwaldausflügler, die, nicht vom Kopf bis zum Fuß in Kleider eingepackt, durch die Wälder und Wiesen ziehen.

Bericht der Arbeiter-Zeitung - vom 24. Mai 1931
Absam als Vorbild für Wien?

Der Wiener Polizeivizepräsident wollte sich also das in Absam vom Gemeinderat verhängte Sitten- bzw. Baderegime zum Vorbild nehmen, denn im „Roten Wien“ gingen ja tatsächlich Frauen und Männer nicht nur gemeinsam, sondern auch nackt baden – was ja in Eichat keineswegs der Fall war.

Aber 1931 waren die Vorboten des spätestens zwei Jahre später herrschenden Austrofaschismus schon massiv spürbar: Die Heimatwehr in Tirol beispielsweise machte schon lange gegen einen Freiheitsbegriff mobil, der Freiheit konkret auch im Geschlechterverhältnis etablieren wollte. Und was wäre das gemeinsame (natürlich züchtig bekleidete) Baden in Eichat anderes gewesen als die gelebte und für alle sichtbare Gleichberechtigung von Mann und Frau? Und tatsächlich der konservative „Roll-Back“ im legislativen Bereich erfolgte nach der Ausschaltung des österreichischen Parlaments im Jahr 1933 mit einer „Verordnung der Bundesregierung zum Schutze der Sittlichkeit und der Volksgesundheit“ vom 26. Mai 1933.

Widerspruch aus Eichat – Bravo aus Wien

1931 aber konnte man sich noch wehren und der Absamer Rittmeister a. D. Lorenz Formentini, der auf seinem Grund in Absam-Eichat das Schwimmbad errichtet hatte und dem die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck explizit das Baden von „Personen beiderlei Geschlechtes“ gestattet hatte, erhob bei der Tiroler Landesregierung Einspruch gegen das von der Gemeinde verhängte Verbot des gemischtgeschlechtlichen Badens. Die Tiroler Landesregierung aber wies – wie nicht anders zu erwarten war – diesen Einspruch ab und bestätigte damit das Verbote der Gemeinde.

Formentini ließ nicht locker und erhob beim Verwaltungsgerichtshof in Wien Beschwerde gegen diesen Bescheid der Landesregierung.

Und spätestens jetzt begann sich ganz Österreich fürs Baden in Eichat zu interessieren. „Der Abend“ berichtete am 23. Mai 1931 mit viel Ironie:

Die Sittlichkeit schon wieder gerettet – Bravo, Absam! – Der Gemeinderat von Absam hat die Auflassung der Familienabteilung im Absamer Schwimmbad aus Sittlichkeitsgründen veranlaßt. Das Absamer Schwimmbad… gilt als eines der reizendsten und landschaftlich schönsten Freibäder Tirols. …Das Familienbad sollte am 1. Juni eröffnet werden, doch hat der Gemeinderat die Eröffnung aus Gründen der Sittlichkeit, Anständigkeit und Wohlerzogenheit verboten. Es werden nur getrennte Bäder, das heißt ein Frauenbad und ein Männerbad, gestattet. Sittlichkeit ist eben eine große Mode, nicht nur in Absam!

Und das liberale „Neue Wiener Tagblatt“ berichtete vom „Bäderkrieg in Tirol“: „Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet gegen die Landesregierung. Vor einiger Zeit hat Lorenz Formentini in Absam bei Hall im Inntal mit beträchtlichen Kosten ein Familienbad errichtet. Der Gemeinderat von Absam beschloß jedoch, dem Badbesitzer anzuordnen, daß er in seinem Wasser-, Lust- und Sonnenbad getrennte Badestunden einführe, damit die Geschlechter nicht gemeinsam baden und nicht die Sittlichkeit gefährdet wird. Durch den Gemeinderatsbeschluß erlitt Formentini eine schwere geldliche Einbuße, weshalb er gegen diesen Beschluß bei der Tiroler Landesregierung eine Eingabe machte. Diese aber bestätigte den Gemeinderatsbeschluss mit dem Hinweis darauf, daß die Sittenpolizei in den Aufgabenkreis der Gemeinde falle und dieser die Entscheidung zustehe, ob ein Familienbad zuzulassen sei oder nicht. Gegen diese Entscheidung brachte der Badebesitzer Formentini beim Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde ein, in der daraus hingewiesen wird, daß dem Gemeinderat von Absam ja die Pläne zur Erbauung der Badeanstalt vorgelegt worden seien und dieser somit wußte, daß es sich um die Errichtung eines Familienbades handelte. Es gehe doch nicht an, daß er zuerst die Genehmigung für die Errichtung des Bades erteile und dann hinterher ohne sachliche Gründe den Badebetrieb einstellen wolle. Das Bad entspreche allen Geboten der Sittlichkeit. Es gibt in ganz Oesterreich Familienbäder. Was im ganzen Landesgebiet erlaubt sei, könne in Tirol nicht unsittlich sein. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Beschwerde Folge gegeben und die Entscheidung der Landesregierung als gesetzwidrig aufgehoben.

Reste des Freischwimmbads Eichat im Jahr 1950

Dass manche in Absam noch Jahre später vom Sittenstaub, den der Absamer Gemeinderat in Eichat aufgewirbelt hatte, profitierten – denn jeder wusste inzwischen, was mit „Familienbad Eichat“ gemeint war – lässt sich in zeitgenössischen Kleinanzeigen nachlesen: „Zu vermieten: Sommerwohnung für 4 bis 3 Personen, eventuell mit Verpflegung, großer Garten, 5 Minuten vom Familienbad und Wald. Absam Nr. 428.

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